Ist virtuelle Assistenz so etwas wie ein MDE/BDE System?

Wir leben im Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0 und heutzutage wird kaum eine neue Produktionsanlage gekauft, die nicht über moderne Kommunikationsschnittstellen (OPC UA, Euromap, etc.) verfügt. Zudem werden täglich ältere Anlagen mit Kommunikationsschnittstellen oder gar vollständigen Retrofit-Steuerungen nachgerüstet, so dass auch diese Anlagen „Industrie 4.0 ready“ werden. Auf diese Weise können Maschinen direkt mit übergeordneten Auswertesystemen verbunden werden und sind „kommunikationsfähig“.

Bis vor wenigen Jahren war diese Digitalisierung der Produktion ein Bereich der vorzugsweise von Betriebs-Daten-Erfassungssystemen (BDE) oder konkreter von den sogenannten „Maschinen-Daten-Erfassungssystemen“ (MDE) fokussiert wurde. Diese Systeme erfassen einzelne Daten von den Maschinen und speichern diese zur weiteren Datenanalyse ab. Die Datenerfassung erfolgt dabei entweder über eine direkte Maschinenkommunikation oder alternativ über zusätzlich installierte Sensorik oder Terminals in der Produktion.

Dabei werden insbesondere Daten erfasst wie:

  • in welchem Zustand befindet sich die Maschine (Stillstand, Wartung, Produktion)
  • wie viel Produkt hat die Anlage in einem Zeitraum produziert
  • welcher Artikel wird gerade produziert
  • wie viel Ausschuss wurde produziert

Die Datenmenge die MDE Systeme erfassen ist dabei in aller Regel gering und meist niederfrequent ausgeführt. Üblicherweise kommen MDE Systeme mit einer Anzahl von weniger als 10-30 Prozessparametern je Anlage aus und die Erfassungsgeschwindigkeit (Frequenz) liegt häufig im Bereich von wenigen Werten pro Minute. Diese Tatsache stellt somit auch bereits eine der wichtigsten Unterscheidungen zu dem Ansatz dar, den SHS mit der Entwicklung des „maschinennah agierenden Assistenzsystems“ namens Vipra(R) verfolgt.

Unterschied MDE und Assistenzsystem

Ein Assistenzsystem ist ein maschinennah agierendes System, welches eine maximal mögliche Anzahl an Daten mit einer hohen Aufzeichnungsgeschwindigkeit von den angebundenen Prozesssystemen sammelt und diese Daten live – bereits während des Erfassungsvorganges zur Auswertung bereitstellt. Das Assistenzsystem hat die Aufgabe am Live Datenstrom zu agieren und Veränderungen in den Prozessen frühzeitig zu erkennen, zu visualisieren und bei der Optimierung der Prozesse aktiv zu unterstützen.

Es ist ausdrücklich nicht das Ziel des Assistenzsystems, die Daten lediglich zu Speichern und zur nachträglichen Betrachtung bereitzustellen.

 

Aufgrund dieser Zielsetzung, werden für Assistenzsysteme einige Funktionalitäten notwendig, die für MDE Systeme nicht relevant sind. Die größte Unterscheidung liegt dabei in der Menge der zu akquirierenden Parameter und in der Datenaufzeichnungsgeschwindigkeit. Während MDE Systeme, wie oben erwähnt, oft nur wenige Parameter je Produktionsanlage mit geringer zeitlicher Auflösung sammeln, erfasst das Assistenzsystem eine sehr große Anzahl an Parametern von einer großen Anzahl an unterschiedlichen Systemen und dies mit einer hohen Aufzeichnungsfrequenz.

In der Praxis werden so teilweise mehre hundert Werte pro Produktionssystem mit Aufzeichnungsgeschwindigkeiten von mehr als 100 Werten pro Sekunde erfasst, die als Live-Datenstrom vorgehalten und zur Analyse bereitgestellt werden können.

Beispiel eines Dashboards im Assistenzsystem: Kombination aus verschiedenen Schaltflächen für Bedienerfeedback, Formular-Eingabefelder und Darstellung von Live Prozesskennzahlen bzw. der Prozessstabilität von einzelnen Parametern, hier Schmelzetemperatur

 

Warum so große Datenmengen – Big Data wirklich sinnvoll?

Aber warum sollen denn so viele Daten von einer Anlage erfasst werden, die insgesamt so träge reagiert wie ein Extrusionssystem? Macht das überhaupt Sinn?

Je nachdem wofür die Daten eingesetzt werden sollen. Wenn beispielsweise während der laufenden Produktion bereits erkannt werden soll, welche Situation vorliegt und ob ein Eingreifen in den Prozess notwendig ist, ist eine höhere Abtastfrequenz notwendig. Sofern die aufgezeichneten Daten auch geeignet sein sollen, einen Grund für das Auftreten von Fehlern zu identifizieren, ist eine breite Menge an Parametern sowie auch eine hohe Abtastfrequenz notwendig. Wenn gar der Einsatz von Methoden aus dem Werkzeugkasten des „Machine Learnings“ also des maschinellen Lernens auf Basis von künstlicher Intelligenz das Ziel sein soll, dann sind sehr große Datenmengen an Prozessinformationen unabdingbar, damit ein „Training“ dieser KI durchgeführt werden kann.

 

Monitoring – Analyse – Assistenz

Am Markt existieren unterschiedliche Softaresysteme mit unterschiedlichen Zielsetzungen, die allesamt in den Bereich der Systeme fallen die den Überbegriff „Digitalisierung“ oder „Industrie 4.0“ tragen (und auch verdienen). Dennoch existieren dabei sehr unterschiedliche Herangehennsweisen, Möglichkeiten und Prioritäten, die sich für den folgenden Verglich in die Kategorien Monitoring, Analyse und Assistenz unterteilen lassen.

 

Monitoring

Mit einem guten Monitoring kann beispielsweise rückwirkend überprüft werden, wie viel Material für die Produktion eines bestimmten Artikels verwendet wurde oder wie hoch der Energieverbrauch für den Betrieb einer speziellen Anlage in einem definierten Zeitraum war. Hierfür reichen wenige Daten, wie etwa der Zählerstand des Materialzählers zum Zeitpunkt des Produktionsbeginns und -endes aus, damit diese Daten mit ausreichender Genauigkeit berechnet werden können.

Wird allerdings eine Abweichung festgestellt, beispielsweise dass der Materialverbrauch deutlich gestiegen oder gesunken ist, kann nicht im Detail ausgewertet werden, woran diese Veränderung gelegen hat.

 

Analyse

Analysesysteme zeichnen Daten auf und speichern diese (i.d.R.) in Datenbanksystemen. Die Menge der Daten kann dabei durchaus sehr groß werden. Mit einem gut gestalteten Analysesystem wäre es im obigen Beispiel möglich, dass im Rahmen einer Detailanalyse ausgewertet werden kann, mit welchen Prozessparametern produziert wurde und ob es etwa signifikante Unterschiede in der Drehzahl der Schnecke, in der Massetemperatur oder im Schmelzedruck gegeben hat.

Auch wenn dies auf den ersten Blick sehr mächtig klingt, sind derartige Systeme in der Praxis hinsichlich ihres tatsächlichen Potenzials oft nur minimal genutzt, da zwar oft sehr viele Informationen zur Verfügung stehen, diese jedoch stets manuell durch einen analytischen Systembediener ausgewertet werden müssen. Zudem kann zwar häufig nachträglich erkannt werden, dass die Prozesse voneinander abweichen, oft fehlt aber die Information warum dies der Fall war – was sich leider auch rückwirkend (nach Tagen oder Wochen, wenn die Auswertung stattfindet) nur noch selten herausfinden lässt. (Eine Möglichkeit, wie dies automatisiert gelöst werden kann, finden Sie in unserem Beitrag: Automatisierte Situationsanalyse mit virtueller Assistenz – Vipra)

Ein weiterer Nachteil dieser Analysemethode ist, dass ein Produktionsdefizit erst einmal Auftritt und erst bei der späteren manuellen Analyse als solches Defizit erkannt wird. Bleibt diese manuelle Detailanalyse einmal aus, was aufgrund von geringen personellen Kapazitäten in Produktionsbetrieben schnell mal passieren kann, bleibt der Fehler evtl. sogar unerkannt und wird auch nicht behoben.

 

Assistenz

Mit dem Assistenzsystem der SHS ist es möglich eine große Anzahl an Prozessparametern zu sammeln und diese kontinuierlich (live) – quasi während diese erfasst werden – zu analysieren. Auf diese Weise wird es möglich, Automatismen zu verwenden, die direkt und unmittelbar beim Auftreten einer bestimmten Kombination an Prozessparametern eine Situation erkennen und beispielsweise Folgeaktionen aktivieren. Mit einer derartigen Auswertung ist es ebenfalls möglich, auftretende Situationen bereits unmittelbar nach deren Erscheinen zu Erkennen und zeitnah Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Zudem stellt das Assistenzsystem Werkzeuge zur Verfügung, die eine Behebung eines Problems erleichtern können. Beispielsweise indem der Maschinenbediener durch verschiedene Dashboards zur Fehlerbehebung geführt wird oder indem bebilderte Informationsbeiträge, Anleitungen oder Prozessvorgaben bereitgestellt werden.

 

Fazit

Ein Assistenzsystem wie das Vipra System der SHS ist somit kein klassisches MDE oder BDE System. Das Assistenzsystem agiert masschinennah und arbeitet mit einer erheblich größeren Datenmenge und Aufzeichnungsfrequenz und bietet Online-Analysemethoden am Live-Datenstrom.

 

Aber ist dann eine Kombination von Assistenz und MDE oder BDE – möglich bzw. sinnvoll?

Häufig kommt die Frage auf, ob es möglich und/oder sinnvoll ist ein Assistenzsystem mit einem MDE oder BDE System zu kombinieren.

Die eindeutige Antwort auf diese Frage lautet: Ja.

Beide Systeme haben ihre Besonderheiten und Vorzüge und ein System wird nie die vollständigen Funktionalitäten des anderen Systems abdecken können, auch wenn es sicherlich hier und da Überschneidungen geben mag. Bei der Kombination dieser Systeme gibt es einen wichtigen Punkt zu beachten und zwar die Gestaltung der Datenakquise. Das Assistenzsystem benötigt große Datenmengen mit einer hohen Frequenz. Das MES System ermöglicht eine geringere Datenmenge und ist auch gar nicht in der Lage die vom Assistenzsystem benötigten Datenmengen mit der benötigten Geschwindigkeit (und Struktur) bereitzustellen. Umgekehrt ist dies jedoch sehr wohl der Fall. Vipra bietet exakt für diesen Anwendungsfall eine vollständig offene Datenschnittstelle über die der Lizenznehmer jedem beliebigen Drittsystem den Zugriff auf die vom Assistenzsystem gesammelten Daten genehmigen kann. Somit wird das Assistenzsystem maschinennah eingesetzt, arbeitet dort mit der maximalen Datenmenge und -frequenz und kommuniziert die für das MES/BDE System notwendigen Daten.

 

Bei Interesse an dieser oder den weiteren Möglichkeiten des virtuellen Produktionsassistenten bieten wir gerne – nach Terminabstimmung – eine individuelle Webkonferenz an, in der wir an einem einem Live-System die Funktionalität des Systems demonstrieren können. Gerne können Sie uns aber auch an unserem Standort in Dinslaken (BRD/NRW) besuchen, so dass wir Ihnen das System live, verbunden mit einem Extrusionssystem und einer Spritzgießmaschine in unserem Technikum demonstrieren können. Sofern Sie daran interessiert sind, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail.

 

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