(Automatische) Optimierung der Zylindertemperaturen an Extrudern

Screenshot: SHS Extrudersteuerung

Wie im vorhergehenden Beitrag bereits angesprochen, ist es zur Vermeidung von Produktionsproblemen sowie zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen und produktiven Produktion stets ratsam, die Temperaturen des Extrusionszylinders optimal zu parametrieren.

Die Optimierung der Zylindertemperaturen während des laufenden Produktionsbetriebes ist aufgrund der Trägheit des Systems, der gegenseitigen Beeinflussung von benachbarten Zylinderzonen sowie der Tatsache, dass dadurch Ausschuss produziert werden kann keine einfache Aufgabe und wird daher oft gemieden. Somit werden viele Extruder in nicht optimalen Betriebspunkten betrieben, wodurch verborgene Potenziale ungenutzt bleiben.

 

Wege zur Optimierung der Zylindertemperaturführung

Wie bei jeder Optimierungsaufgabe muss zunächst einmal geklärt werden, welches die Freiheitsgrade der Optimierung (die verstellbaren Parameter) sind und was das (messbare) Optimierungsziel ist.

Die verstellbaren Parameter sind die Soll-Temperaturen der verschiedenen Heizzonen, wobei hierbei aber berücksichtigt werden muss, dass es für jede einzelne Zone kritische (Grenz-) Temperaturen gibt, die entweder aufgrund fehlender Leistung (z.B. Kühlleistung) nicht realistisch erreicht werden können, oder die nicht erreicht werden sollten, da dies zu Prozessproblemen (Verbrennungen, Abbau) führen würde. Zudem muss beachtet werden, dass die am Regler eingestellte Soll-Temperatur in den meisten Fällen nicht mit der in der Zone vorherrschenden Massetemperatur übereinstimmt, sondern lediglich mit der Temperatur am Messkopf des Sensors.

Als Optimierungsziel kommen verschiedene Kriterien in Betracht. Gebräuchliche Zielkriterien sind die Massetemperatur, das Minimieren von Temperaturschwankungen, das Minimieren von Druckschwankungen, aber auch andere Parameter wie die Oberflächenqualität, der Glanz des Produktes oder dessen mechanische Eigenschaften.

Um nun also eine Prozessoptimierung zu ermöglichen, muss zum einen die Anpassung der Prozessparameter möglich sein (dies ist in aller Regel der Fall), zum anderen muss aber auch das Ergebnis der Variation messbar sein, insbesondere auch in der geforderten Frequenz und Genauigkeit (z.B. bei Druckschwankungen; dies ist meist nicht mit dem Standard-Equipment möglich).

Zudem muss berücksichtigt werden, dass je nach Größe des Extruders Zeiträume zwischen einigen Minuten (kleine Extruder) bis hin in den Stundenbereich vergehen können, bis der neue Prozesszustand sich eingeschwungen hat und sich im Gleichgewicht befindet.

Der aus wissenschaftlicher Sicht gebräuchlichste Weg zur Identifikation eines Optimums für eine solche Fragestellung wäre die Durchführung einer vollständigen Versuchsreihe nach dem DOE Prinzip (z.B. vollfaktoriell), wobei alle Zylinderzonen variiert werden und die Systemantwort erfasst wird. Eine derartige DOE Untersuchung kann aber aufgrund des Aufwandes schon bei kleinen Extrudern einen gesamten Arbeitstag einnehmen, so dass dieses Verfahren in der Praxis meist keine Bedeutung findet.

 

Aufgrund des Aufwandes eines DOE findet die manuelle Prozessoptimierung in der Praxis daher meist in der Form statt, dass einzelne Zonen (jeweils immer nur eine Zone) hinsichtlich ihrer Temperatur in kleinen Schritten (z.B. +/- 5°C) umparametriert werden. Nachdem das System eingeschwungen ist und wieder einen stabilen Betriebszustand erreicht hat, wird die Prozessqualität ausgewertet. Im Falle einer Verbesserung wird die Änderung angenommen, sofern keine Verbesserung eingetreten ist wird entweder die ursprüngliche Parametrierung wieder eingestellt und eine andere Zone wird variiert oder die Veränderung wird beibehalten und trotzdem eine andere Zone angepasst.

Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass eine gegenseitige Beeinflussung von verschiedenen Zonen so nur schwer zu erfassen ist und dass eine intelligente Auswahl, welche Zone verändert werden sollte, vom Know How oder dem Erfahrungsschatz des Maschinenbedieners abhängig ist. Zudem kann eine solche Optimierung ebenfalls durchaus viele Stunden dauern, sofern der Maschinenbediener nicht intuitiv die richtige Reihenfolge zur Umparametrierung wählt. Darüber hinaus ist es bei Anwendung dieser Methode schwer zu beantworten, ob ein lokales oder globales Optimum gefunden wurde.

 

Eine andere Methode zur Identifikation eines optimalen Temperaturprofils ist die dynamische Optimierung (z.B. nach Dr. Chris Rauwendaal). Bei dieser Methode wird eine signifikante Änderung einer Zonentemperatur (z.B. um 20-40°C) eingestellt und es wird kontinuierlich (nach Möglichkeit automatisiert) der Verlauf der Temperatur, sowie der Verlauf der Zielgröße erfasst. Dadurch, dass sich eine Änderung nicht schlagartig einstellt, sondern das System sich langsam dem neuen Sollzustand annähert, werden kontinuierlich Informationen generiert, die das Verhalten des Systems beschreiben.

Die Auswertung eines solchen Verlaufes zeigt deutlich, bei welcher Temperatur die Zielgröße ein Optimum eingenommen hat und gibt wertvolle Informationen über die Zusammenhänge des Prozesses.

Derartige und ähnliche (weiterführende) Algorithmen werden von modernen Maschinensteuerungen dem Anlagenbediener heutzutage als automatische Funktionen zur Verfügung gestellt. Die Steuerung variiert dann automatisiert in intelligenter Weise die Zonentemperaturen (z.B. automatische Zonentemperaturoptimierung ZOT) und ermittelt für verschiedene Zonen und verschiedene Zielgrößen die jeweils optimalen Werte. Dabei werden sowohl monokriterielle als auch multikriterielle Optimierungsalgorithmen eingesetzt.

Eine weiterführende Variante dieser einfachen gradientenbasierten Optimierung sind selsbstlernende Algorithmen. Solche Systeme erfassen kontinuierlich die IST-Situation des Systems durch Sensorik und speichern sämtliche Prozesszustände in denen sich das System einmal befunden hat in einer Datenbank. Somit steht dem System ein großer Bestand an Daten (aus der realen Produktionspraxis) zur Verfügung aus denen spezielle Algorithmen der „künstlichen Intelligenz“ ein Systemverhalten „lernen“ können.

Ohne dass der Anlagenbetreiber/-bediener also etwas davon mitbekommt, lernt das System kontinuierlich aus der realen Situation und wird somit in die Lage versetzt, aus dem erlernten Wissen dem Maschinenbediener Informationen darüber an die Hand zu geben, welche Temperatureinstellung zu welchem Ergebnis führen werden. Das hier zutreffende Stichwort lautet „virtuelle Assistenzsysteme“ und stellt aus unserer Sicht die Zukunft der Extrusion dar.

 

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(P.S. Die Entwicklung selbstlernender Systeme ist eine der Hauptaktivitäten der SHS plus GmbH und findet Anwendung in unseren virtuellen Assistenzsystemen sowie unseren Extrudersteuerungen zur Nachrüstung an bestehenden Anlagen (Retrofit).

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